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27.1 Nevins Prüfung

  Nevin blieb seufzend vor dem Erdhügel stehen. Eine wei?e Lilie steckte vor der Kerze, die aus dem h?chsten Punkt des Grabes herausstand. Naias' Grab.

  Er setzte sich ins Gras und biss sich auf die Unterlippe. Eigentlich h?tte Nevin im Bett sein sollen. Das Morgengrauen würde noch dauern und obwohl seine Lider schwer und leicht geschwollen waren, schlug sein Herz viel zu kr?ftig. So war es unm?glich in Ruhe zu schlafen. Hier drau?en, zwischen den Gr?bern, lenkten Nevin die raschelnden Bl?tter der entfernten Obstb?ume von seinem eigenen Herzschlag ab. Er rieb sich die Stirn, w?hrend er durch seine Drachensicht die wei?e Blume betrachtete.

  ?Ich vermisse dich.? Nevins Stimme belegte sich so sehr, dass er mehrmals schlucken musste, um weitersprechen zu k?nnen. ?Es hat wahrscheinlich keinen Sinn, so mit dir zu sprechen. Jetzt wo du nicht hier bist, aber ... jetzt gerade, ist alles etwas schwer. Sehr schwer sogar.? Er blinzelte mehrmals und hoffte, so die anbahnenden Tr?nen mit seinen Wimpern aufzufangen.

  In den letzten Jahren, hatte er sich darin geübt, schmerzhafte Ereignisse und Gefühle zu verdr?ngen, um immer weiterzumachen, zu funktionieren. Damit der Fluch ihn nicht übernahm. Doch heute war sein Herz übervoll mit Trauer und Angst. Er musste sie herauslassen.

  ?Ich habe Elyon erz?hlt, alles wird gut. Und bis jetzt ist auch vieles gut gegangen. Ich wei?, ich hatte schon immer gro?es Glück. Aber was, wenn es dieses Mal anders ist? Was ist, wenn alles schiefl?uft und diese Bestie alles und jeden ausl?schen wird? Was ist, wenn der Geduldsfaden meines Vaters rei?t? Werde ich dann den Mut haben, mich ihm entgegenzustellen? Meine Drachenkr?fte für meinen Schutz einzusetzen??

  Nevin gab ein bitteres Lachen von sich und schlang die Arme um die angezogenen Beine.

  ?Ich fürchte mich so sehr vor meinem eigenen Vater, dass selbst der Fluch sich in meinen Adern v?llig aufzul?sen scheint, wann immer ich vor ihm stehe. Ich bezweifle, dass ich es überhaupt schaffen würde, mich vor ihm zu verwandeln.?

  Er fuhr mit einer Hand über die Narbe an seinem linken Unterarm, entbl??t durch den zurückgekrempelten ?rmel. Er war fünf Jahre alt gewesen, als sein Vater ihn dort aufgeschlitzt hatte, weil er am Anfang seines Schie?unterrichts nie die Zielscheibe getroffen hatte.

  ?Ich bereue es nicht, dass ich mit Elyon den Schwur eingegangen bin. Ich glaube sogar, dass es mir etwas von dieser schweren Last abnimmt. Du wei?t doch, dass ich abends immer Schulterschmerzen habe, du hast mir ja früher auch jedes Mal die Steine aufgew?rmt und einen Wickel gemacht. Aber am letzten Abend, da waren sie nicht ganz so angespannt wie sonst.? Nevin schüttelte den Kopf.

  ?Aber ich sollte mich nicht erleichtert fühlen. Eigentlich sollte ich mich sch?men. Elyon ist am Ende doch erst sechzehn. Und sie sieht ersch?pft aus. Sehr ersch?pft. Und ich wei? nicht, wie ich sie am besten unterstützen kann.?

  Nevin legte die Stirn auf die Knie. Nicht weit von ihm, zwitscherte eine Nachtigall und ihre zarten T?ne streichelten seine Ohren, w?rmten seine Brust auf. Er griff auf sein Drachengeh?r zurück, um ihren Gesang deutlicher zu h?ren..

  Dann h?rte er die entfernten Rufe seiner Wache. Sie kamen vom Hof.

  Nevin sprang auf die Beine und sprintete auf das Tor zu. Er hatte es noch nicht erreicht, als er Alina und Milo entdeckte. Sie standen nicht weit von dem Haupteingang in die Burg, vor ihnen lagen die K?rper, verdeckt durch ein gro?es Leinentuch. Nur die grauen Schwanzspitzen waren zu sehen.

  Elyon sprang von Alinas Nacken ab. Als sie auf ihn zulief, wehte ihm ein leicht metallischer Duft entgegen. Erst jetzt bemerkte er die dunklen Flecken auf Elyons Filzumhang.

  Nevin schluckte schwer, suchte sie nach Verletzungen ab, doch da sie ohne sichtbare Schmerzen auf ihn zugelaufen kam und auch die anderen keinerlei Blutspuren auf ihrem Fell trugen, musste das Blut jemand anderem geh?ren.

  ?Ist alles in Ordnung??, fragte Nevin trotzdem.

  Elyon folgte seinem Blick auf ihren Umhang, dann nickte sie.

  ?Nicht meins. Musste Wache t?ten.?

  Nevin eigene H?nde waren alles andere als unschuldig. Doch Elyon schien, im Gegensatz zu ihm, nicht davon berührt zu sein, fremdes Blut auf ihrer Kleidung zu tragen. Er ahnte, dass die Wildnis ihr jede Zaghaftigkeit ausgetrieben hatte.

  ?Wo kann ich sezieren??, fragte sie.

  ?Lass uns die K?rper zur hinteren Mauer tragen.?

  Er lie? nach einem Diener rufen, der sich um Kleidung für Alina und Milo kümmerte und sie danach zurück in die Burg führte, wo sie sich ausruhen sollten. W?hrenddessen verwandelte Nevin sich in der Sattelkammer, auf der linken Seite des Hofs, dann trug er mit seinen eigenen Pfoten die toten Drachen zum zweiten Brunnen an der Rückmauer, dort wo der Eichenwald begann. Hier waren sie weit genug von Jesko und Ilka entfernt, dass Nevin hoffte, sie würden nichts oder nur wenig von dem mitkriegen, was gleich passieren würde.

  Neben dem Brunnen, lagen Eimer, Tücher, Schwerter und Dolche bereit, sowie ein Papierheft, Kohle- und Grafitstücke.

  Elyon prüfte mit funkelnden Augen die Dolche. Ein kaltes Gefühl packte seine Eingeweide. Nevins K?rper wurde wie ein Magnetstein von der Burg angezogen, weg von dem schauerlichen Anblick. Doch er blieb stehen, um dem M?dchen zur Seite zu stehen. Und, weil er auch ein wenig neugierig war.

  Sie nahm sich zuerst den kleineren Drachen vor, dessen Fell etwas dunkler war. Ohne zu z?gern, kniete sie sich vor ihm hin und stach vorsichtig in seinen Nacken und schnitt in Richtung der Schultern.

  Eine dunkle Flüssigkeit floss aus dem Schnitt heraus. Erschrocken trat Elyon zurück. Ein leises Zischen war zu h?ren. Doch das, was Nevin einen kalten Schauer einjagte, war der Geruch. Der gleiche scharfmodrige Gestank wie der Schlack, der von dem Urdrachen ausging.

  A case of literary theft: this tale is not rightfully on Amazon; if you see it, report the violation.

  Regungslos starrte Elyon auf die Wunde, aus der immer noch die dunkle S?ure herausfloss und das Leinentuch zerfra?.

  ?Das ... das ist nicht normal, oder?? Nevin hielt die Luft an.

  Sie nickte, die Augen immer noch stark auf die Wunde gerichtet.

  ?Warum??, hauchte Elyon, dann kniete sie sich hin und berührte vorsichtig die Wunde mit den Fingerspitzen.

  ?Warte! Was tust du da!?, rief Nevin und beugte sich zu dem M?dchen, weil er sie von dem Drachen wegziehen wollte. Doch dann hielt er inne.

  Unbekümmert zerrieb Elyon die Flüssigkeit zwischen ihren Fingern. Kein Zischen war zu h?ren, kein schmerzhafter Ausdruck in ihrem Gesicht zu sehen. Erst als sie die Finger zu ihrer Nase führte, verzog sie leicht das Gesicht.

  ?Ist kein Blut?, murmelte sie, dann tauchte sie die Finger in den Eimer, der neben ihr stand, und notierte etwas auf das gelbliche Heftpapier zu ihrer linken. Dann schnitt sie weiter an dem dunkelgrauen Hals immer mehr Flüssigkeit landete auf das Tuch.

  Das unaufh?rliche Zischen brachte Nevins K?rper zum Zittern und er t?nzelte unruhig hin und her, immer noch entzweit, ob er bleiben, oder lieber wieder verschwinden sollte.

  Als Elyon die Mitte des Rückens erreicht hatte, klappte sie die obere H?lfte zurück. Alles, was Nevin erkennen konnte, waren Knochen. Der Rest waren mehrere, schleimige Brocken die in einer Suppe aus der schwarzen S?ure schwamm.

  Nevin würgte und hustete, wandte sich ab und lief auf den Brunnen zu. Sein Magen kollerte so heftig, dass es sein K?rper sich zusammenkrümmte. Als Drache schwitzte er nicht, doch die übelkeit heizte ihn so sehr auf, dass Nevin gezwungen war, wie ein Hund die Zunge herauszuh?ngen, um zu hecheln. Er streckte die Zunge nach dem Rohr aus, aus dem das Wasser in den Trog floss.

  ?Nevin, Hilfe!?

  Sofort zog Nevin seine Zunge zurück und hastete zurück zu Elyon. Das dunkelhaarige M?dchen zog gerade den noch heilen Drachenk?rper von dem anderen weg, da sich die S?ure immer weiter über das Tuch und das Gras ausbreitete.

  Er sprang auf sie zu, schnappte den toten K?rper am Nacken und trug weg. Da sie nahe an der Mauer standen, standen sie bald auf gepflasterten Boden, dem das ?tzende Gemisch nichts anhaben konnte.

  ?Noch nie gesehen?? Elyon zeigte auf die schwarze Pfütze und Nevin schüttelte als Antwort den Kopf.

  ?Noch nie toten Drachen seziert? Oder offen gesehen??

  Nevin schluckte und zwang sich, den Blick von der S?ure wegzunehmen. Doch der Geruch hing wie ein dichter Nebel in der Luft. Wieder krampfte sich sein Magen zusammen.

  ?Drachen werden sofort nach ihrem Tod schnell verbrannt. Und unsere Waffen haben wir alle von kaiserlichen Schmieden her, denen es als einzige erlaubt ist, den Drachen ihre Knochen zu entnehmen. Ich war nie bei der Entnahme dabei oder habe über so etwas wie das da geh?rt.? Nevin zuckte mit dem Kopf in Richtung des regungslosen K?rpers, der von einer riesigen, schwarzen Pfütze umgeben war. ?Da viele Leute Angst vor dem Fluch haben, fühlen sie sich sicherer, wenn nur noch die Asche der Drachen übrig bleibt. Deswegen werden sie alle verbrannt.?

  Elyon dachte kurz nach, dann schnappte sie sich wieder das Heft und schrieb sich Notizen auf.

  ?Drachenk?rper dort vorne, wahrscheinlich schon l?nger tot. K?rper fühlt sich anders an. Weicher, gibt schneller nach. Wie Wasserschlauch, der nicht prall gefüllt ist.?

  Das flaue Gefühl in seinem Magen, raubte ihm die Worte. Nevin überlegte ernsthaft einfach wegzufliegen. Doch was auch immer Elyon entdeckte, k?nnte ihm auch nützlich sein.

  Das M?dchen begann gerade an dem zweiten Drachen zu schneiden. Statt der schwarzen S?ure, trat dieses Mal die tiefrote Flüssigkeit aus der Wunde heraus, nach der H?ndler im ganzen Kaiserreich gierten, um sie als Heilmittel zu verkaufen.

  ?Kein Blut. Zu flüssig.? Elyon hielt sich wieder die Finger vor den Augen, dunkelrot beschmiert, ehe sie weiter bis zur Mitte des Rückens schnitt. Danach landete das Schwert neben ihr auf den Pflastersteinen und sie legte eine Hand auf die obere K?rperh?lfte. Doch statt sie aufzuklappen, hielt sie inne und starrte Nevin an. Sie ?ffnete den Mund, z?gerte, klappte ihn wieder zu, dann ?ffnete Elyon ihn wieder.

  ?Nicht erschrecken.?

  Nevin konnte nicht erahnen, was sie meinte. Doch ihre Aussage verst?rkte das flaue Bauchgefühl noch weiter. Trotzdem war er zu neugierig, um wegzusehen.

  Als sie die Drachenhaut zurückklappte, verstand Nevin immer noch nicht, was sie meinte. Doch dann, erblickte er mit seinem heilen Auge etwas zwischen den Rippen. Unter ihnen lag, verhüllt durch eine halbdurchsichtige Haut, eine menschliche Gestalt.

  Nevin japste erschrocken, stolperte nach hinten und stie? gegen eine Eiche. Der dicke Stamm hielt stand, doch sein Schwanz brach einige der ?ste ab, die raschelnd auf ihn fielen.

  ?Was zum ...!?

  Elyon sa? da, ihr Gesicht so ernst und bed?chtig wie zuvor.

  ?Wusstest du das? Hast du das schon einmal gesehen??

  Das M?dchen nickte nur und machte sich weitere Notizen, dieses Mal auch mit einer groben Skizze des Drachenk?rpers. Danach nahm sie den Dolch in die Hand und schnitt mit der Spitze behutsam die dünne Haut auf, die über dem K?rper lag.

  Nevin musste sich wegdrehen. Das Bild seines eigenen K?rpers dr?ngte sich ihm auf. Gefangen in den Rippen eines Drachens, still, regungslos. Ein so heftiger Schauer überfiel Nevin, dass seine Haut schmerzte. Es war l?cherlich. Er hatte bereits so viele tote Menschen und Tiere gesehen. Zerschunden, verstümmelt, ihre Innereien um sie herum verteilt. Doch es kostete ihn eine hohe überwindung, seinen Blick wieder auf das Geschehen vor ihm zu richten.

  Mittlerweile, lag der leblose Mann, nicht viel ?lter als Nevin selbst, auf dem Gras, gel?st von seiner elastischen Hülle. Mehrere Gewebestr?nge, ?hnlich wie Nabelschnüre, hingen an seinem K?rper. Sie führten hinein in den rosafarbenen Hautsack, in dem der K?rper vorher gelegen hatte. Elyon nahm eine dieser Str?nge in die H?nde, unberührt von der klebrigen Flüssigkeit auf ihren H?nden, und die nach ihrer Aussage kein Blut war, um sich bis hinein in der K?rper vorzutasten.

  ?Nevin, bitte aufhalten?, murmelte sie.

  Mit einem schweren Schlucken zwang er seine Beine ihn zu dem Toten zu tragen, um dann die Pfote auszustrecken und die obere K?rperh?lfte hochzuziehen, sodass Elyon ihre H?nde tiefer in das Gewebe stecken konnte. Sie fand die den restlichen Gewebestrang in der Hauttasche und verfolgte ihn weiter den Hals hinauf.

  Nevin wandte den Kopf ab und hechelte durch den Mund, um die sauren und modrigen Gerüche verdr?ngen.

  Sehnsüchtig wartete er auf ein Wort von dem M?dchen, das ihn aus seiner misslichen Aufgaben befreien würde, doch sie sagte lange nichts. Er h?rte die schmierigen Ger?usche von ihren H?nden, die in den Innereien herumfummelten. Das Pl?tschern des Wassers, wenn sie ihre H?nde in den Eimer tauchte. Das Kratzen von Kohle auf Papier. Dann fing das Ganze von vorne an. Selbst mit geschlossenen Nüstern fühlte es sich an, als würde der Geruch sich langsam in seinem Maul festsetzen.

  ?Bin fertig?, sagte sie endlich.

  Nevin lie? den K?rper los, machte einen riesigen Satz auf die Burgmauer zu, nahm zuerst tief Luft, dann einen Schluck von dem Brunnen und gurgelte, bis er das Gefühl hatte, dass der Geruch nicht mehr auf seiner Zunge lag.

  Als er wieder zu ihr zurückkehrte, waren Elyons kleine H?nde sauber. Nur die dunklen Flecken an ihren Knien verrieten, dass sie so eben im K?rper eines Drachens herumgewühlt hatte. Das M?dchen starrte mit gerunzelter Stirn auf das Gras, tief in Gedanken versunken. Ohne den Kopf zu heben, sprach sie ihn an.

  ?Brauche einen Raum. Zum überlegen und Nachdenken.?

  Nevin nickte erleichtert. Endlich konnte er sich Richtung Burg bewegen.

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